PRESSEMITTEILUNG des SOZIALFORUMS Dortmund
Die Realwertsenkung bei den gesetzlichen Sozialleistungen ist inakzeptabel!
Das ist schon ein Hammer! Während die Medien von einer Teuerungsrate von knapp 4 Prozent sprechen, hat das Bundeskabinett letzten Mittwoch auf Vorlage des Bundesarbeitsministers eine Verordnung verabschiedet, nach der die Regelsätze nach SGB II und SGB XII zum nächsten 1. Januar um nicht mal 1 % angehoben werden sollen!1
Um genau zu sein: um exakt 0,76 Prozent. Wer sich da verwundert die Augen reibt, dem sei gesagt: Der gesetzlich fixierte Anpassungsmodus will es so.
"Maßgeblich (für die Fortschreibung) ist jeweils die Veränderungsrate, die sich aus der Veränderung in dem Zwölfmonatszeitraum, der mit dem 1. Juli des Vorvorjahres beginnt und mit dem 30. Juni des Vorjahres endet, gegenüber dem davorliegenden Zwölfmonatszeitraum ergibt. Für die Ermittlung der jährlichen Veränderungsrate des Mischindexes wird die sich aus der Entwicklung der Preise aller regelbedarfsrelevanten Güter und Dienstleistungen ergebende Veränderungsrate mit einem Anteil von 70 vom Hundert und die sich aus der Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter je beschäftigten Arbeitnehmer ergebende Veränderungsrate mit einem Anteil von 30 vom Hundert berücksichtigt.“ (§ 28a Absatz 2 SGB XII)
Das bedeutet: Maßgeblich für die kommende Veränderungsrate (+0,76 %) sind die Zahlen 1. Juli 2020 bis 30. Juni 2021. Preiserhöhungen – selbstverständlich nur die bei den als „regelbedarfsrelevant“ anerkannten Ausgabearten - schlagen sich dabei zu 70, Lohnerhöhungen zu 30 Prozent in der Berechnung der Rate nieder.
In dieser Regelung steckt ein Konstruktionsfehler, der zu Zeiten geringer Inflation nicht so arg auffällt, aber auch schon in früheren Jahren immer wieder mal Grund für Ärger war. Größere Ausschläge bei den Preisen und/oder den durchschnittlichen Löhnen kommen erst mit 1 bis 2 Jahren Verzögerung bei den Leistungssätzen an!
Für die Regierungen ist das angenehm, da kassenwirksame Mehrausgaben so immer um eine gewisse Zeit nach hinten verschoben werden. Für die Betroffenen hingegen nicht akzeptabel, da die Preiserhöhung jetzt, und nicht erst in 2 Jahren, zuschlägt. Faktisch handelt es sich bei der vorgesehenen Fortschreibung um eine Realwertsenkung.
Und dies, obwohl Wohlfahrts- und Sozialverbände eine Erhöhung des Eckregelsatzes um 150 € für begründet halten und dies – bisher vergeblich - auch von der Bundesregierung fordern.2
Man sollte sich dabei vergegenwärtigen, dass es sich bei den Leistungen nach SGB II und SGB XII um Mittel zur Existenzsicherung handelt, einschließlich eines Mindestbedarfs zur Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben. Dieser Zusammenhang wird in der soeben verabschiedeten VO auch mehrfach unterstrichen, etwa wenn es da heißt, dass es bei der Fortschreibung ganz besonders um eine „Realwerterhaltung der Regelbedarfe“ ginge.3 Dennoch wurde hier seitens des Ministeriums stoisch mit den zurückliegenden Daten gerechnet, als sei nichts.
Nebenbei: Die Untätigkeit der EZB angesichts der aktuellen Inflationswerte und das Festhalten an der Niedrigzinspolitik, alles im Namen der Wirtschaftsbelebung, sind für uns klare Indizien dafür, dass nach Auffassung führender politischer Kreise kleine und mittlere Einkommen dafür herhalten sollen, den Karren wieder aus den Dreck zu ziehen.
Sozialforum Dortmund 23.9.2021
1 s. https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/bundeskabinett-ergebnisse-1960052
und http://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA210903286&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp
2 s. https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/hartz-iv-paritaetischer-kritisiert-geplante-anpassung-der-regelsaetze-um-drei-euro-als-laecherlich-gering
3 zitiert aus der Begründung zur Fortschreibungs-Verordnung RBSFV 2022 (Entwurf Stand 25.8.21, S. 7) s. https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/2021_08_24_RBSFV_2022_Entwurf_RS.pdf