Sigi Czyrt, Flüchtlingspaten Dortmund:

Rede am 9. März auf der Mahnwache gegen den Krieg, Dortmund

 

 

Bertolt Brecht - 1951: Bitten der Kinder

Die Häuser sollen nicht brennen. Bomber sollt man nicht kennen. Die Nacht soll für den Schlaf sein. Leben soll keine Straf sein. Die Mütter sollen nicht weinen. Keiner sollt töten einen. Alle sollen was bauen, Da kann man allen trauen. Die Jungen sollen's erreichen. Die Alten desgleichen.

 

Dieses Gedicht schrieb Bertolt Brecht 1951, sechs Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Das Ende war die Befreiung Deutschlands, Europas und der Welt vom Hitlerfaschismus, Befreiung von einem mörderischen Krieg. Ca. 80 Millionen Menschen weltweit starben in diesem Krieg. Die Sowjetunion, die die Hauptlast trug, verlor 27 Millionen Menschen.

Und heute, heute sterben wieder Menschen Russlands und der Ukraine in einem Krieg, den die Familien, die Mütter, die Väter und Kinder nicht wollen.

Der Krieg in der Ukraine muss sofort beendet werden. Der Krieg ist völkerrechtswidrig, Die Waffen müssen ruhen!

 

Nicht erst seit dem Morgen des 24.Februar erleben wir, diejenigen, die Kriegsflüchtlinge unterstützen, dass die Bitten der Kinder nicht erhört werden.

Wir helfen Familien, Müttern, Kinder, die den Kriegen in Afghanistan, Syrien, Irak, Iran, und den Bürgerkriegen in Afrika entkommen sind. Alle sind vor Bomben, brennenden Häuser, Scharfschützen, militärischer Gewalt geflohen. Wir erleben die Retraumatisierung dieser Menschen durch die Bilder und Berichte über den neuen Krieg in der Ukraine.

Als Flüchtlingspatin habe ich ein Déjà-vu, wenn über die Hilfs- und Spendenbereitschaft der deutschen Bevölkerung berichtet wird. Auch 2015 erlebten wir das. Systematisch wurde und wird die Solidarität und Empathie vieler Menschen herausgefordert. Und damit hoffen wir, dem Krieg den Schrecken nehmen zu können, indem wir helfen. Zumindest für die Menschen, die entkommen konnten. Viele Helferinnen haben ihre Energie über ihre Grenzen in diese Unterstützungs- und sog. Integrationsarbeit gesteckt.

Allerdings beobachten wir, dass offenbar heute ein Unterschied gemacht wird zwischen muslimischen und dunkelhäutigen Geflüchteten und den Flüchtenden, die heute zu Millionen aus der Ukraine kommen.

Wie kämpfen seit Jahren oft gegen große Widerstände für sichere Aufenthalte, gegen Abschiebungen in die Kriegs-und Krisenregionen; wir versuchen lebenswerte Wohnungen und berufliche Perspektiven zu vermitteln. Gegen bürokratische Kälte, Alltagsrassismus und Islamfeindlichkeit haben wir oft nur minimale Chancen. So ist es in Deutschland.

Die EU-Außengrenzen werden abgeschottet. An der belarussisch-polnischen Grenze verhungern und erfrieren die oft syrischen Flüchtlinge. In griechischen Hotspots auf den Inseln werden sie kaserniert, nach Libyen in Folterlager zurückgedrängt und im Mittelmeer sind in diesem Jahr schon über 1000 Flüchtende ertrunken.

Und nun werden die Tore weit geöffnet, eine Massenzustromrichtlinie von 2001 taucht plötzlich auf, sie ermöglicht einen Schutzstatus von 3 Jahren für ukrainische Geflüchtete, Wohnungen werden unbürokratisch zur Verfügung gestellt, Integration durch Bildung, wie Deutschkurse soll sofort erfolgen. Und insbesondere qualifizierte Fachkräfte werden bereits eingeplant. Das ist sehr gut. Aber warum nicht auch für alle Geflüchteten??

 

Was wir mit Entsetzen sehen, sind zwei Dinge:

 

Erstens: Die große mediale Aufmerksamkeit für die Hilfsbereitschaft für ukrainische Geflüchtete wird um die Befürwortung eines aggressiven Aufrüstungs- und Militarisierungsprogramm ergänzt. Und damit werden

die Fluchtursachen weiter befeuert. In Deutschland gibt es einen Paradigmenwechsel. Die Aufrüstung der Bundeswehr um 100 Milliarden Euro, die Ausrüstung der ukrainischen Armee, all das verlängert den Krieg, führt zu weiterem Sterben und zur Flucht hunderttausender Menschen, wie schon aus den Ländern, in denen auch unter Natobeteiligung Kriege geführt wurden und werden.

Heute geht es darum, Menschenleben zu retten, zu verhindern, dass eine weitere Generation von kriegstraumatisierten Kindern und Erwachsenen entsteht.

 

Und als zweites beobachten wir die Aufrüstung in den Köpfen, die psychologische Kriegsvorbereitung gegen das russische Volk.

Ja, wir sind solidarisch mit dem ukrainischen Volk, aber auch mit dem russischen, das in Frieden leben will. Wir erleben in Deutschland eine offenbar geschürte bzw. geduldete Russophobie: Kauft nicht bei Russen, spielt nicht mit russischen Kindern..hört keine russische Musik, lest keine russischen Bücher. So verhindert man keine Kriege, so bereitet man sie vor.

Der einzige Weg, das Töten und Sterben in der Ukraine zu stoppen, ist der sofortige Stopp der Waffenhandlungen, Abrüstung statt Hochrüstung. Diplomatie!

Wir wollen diese Kriege nicht, wir wollen eure Kriege nicht.

Nicht eine Welt, in der keiner den anderen mehr tötet, in der alle gemeinsam etwas bauen, ist geschaffen worden, sondern eine Welt, in der Oligarchen und Monopolkapitalisten auf allen Seiten Unsummen daran verdienen, die Menschen auszubeuten und wenn das nicht mehr reicht, Kriegsgeräte herzustellen, deren einziger Sinn darin besteht, Menschen zu töten, ihre Lebensgrundlagen zu zerstören und die Umwelt zu vergiften.

 

Nicht unsere Aufgabe ist es, die Inhalte der Verhandlungen vorzuschlagen, unsere Pflicht ist es, die sofortige Waffenruhe zu fordern, wie auch immer.

Was brauchen die Ukrainerinnen wirklich? Was hat die flüchtenden Menschen aus ihrer Heimat getrieben? Es ist der Angriff der russischen Streitkräfte, selbstverständlich!

Wir sehen aber auch, dass systematisch die NATO nach 1990 weiter nach Osten ausgebaut wurde; damit wurde eine Bedrohungskulisse gegenüber Russland aufgebaut, die keine Rechtfertigung für den völkerrechtwidrigen Überfall auf die Ukraine sein kann. Aber in der Logik der bereits kriegserprobten NATO Strategie durchaus auch eine militärische Reaktion Russlands bewirken konnte. Leid, Tod und Flucht der Bevölkerung wurden dabei billigend riskiert.

Eine Eskalation hin zum atomaren Weltkrieg ist nicht mehr ausgeschlossen. Mit weiterer Aufrüstung, mit atomarer Bestückung entsprechender Raketenträgersysteme mit neuen Bedrohungspotentialen, entfernen wir uns nicht von diesem Schreckgespenst, sondern es rückt näher.

Die Menschen brauchen Frieden, der aber offenbar nicht in Gesellschaften garantiert werden kann, in denen der Krieg immer auch eine Option ist, den Hunger nach Riesengewinnen zu stillen.

 

Wer, wenn nicht wir, können und müssen die Umkehr erzwingen?

Wir wollen diese Kriege nicht, wir wollen diese Kriegsvorbereitung nicht, wir wollen die Verschwendung von sozialem Reichtum für Rüstung nicht.

Die Waffen nieder!

Keine weiteren Eskalationsschritte!

Alle Auslandseinsätze der Bundeswehr stoppen!

Abrüstung statt Aufrüstung!

Und kurzfristig, Aufnahme und Versorgung aller Geflüchteten aus allen Kriegs- und Krisenregionen.

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