Kundgebung gegen das geplante Versammlungsgesetz
Rede der VVN BdA Dortmund
Guten Abend / Hallo zusammen,
Ich spreche für die VVN - die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.
Die VVN ist die größte antifaschistische Organisation in der Bundesrepublik Deutschland. Sie wurde 1946 von Überlebenden des Naziterrors und des Holocaust gegründet. Für uns gilt nach wie vor: „Die
Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“
Es wäre sehr schön, wenn dieser Schwur der befreiten Häftlinge von Buchenwald heute nicht mehr als eine schlichte Selbstverständlichkeit sein könnte. Und auf den ersten Blick sieht auch alles danach
aus.
Wer ist schon für Nazis oder gegen Frieden und Freiheit?
Anscheinend so gut wie niemand. Und doch leben wir keineswegs in einer Welt des Friedens
und der Freiheit. Wir können noch nicht einmal die Gefahr eines neuen Faschismus ausschließen.
Wenn alle, die angeblich gegen rechts sind, es auch wirklich wären, müssten wir uns keine Sorgen machen. Aber soviel Naivität ,um das zu glauben,können wir uns nicht leisten. Sonst droht ein
böses Erwachen.
Es gibt auch Mogelpackungen wie das neue Versammlungsgesetz in NRW. Es wird uns ja als Beitrag zur Bekämpfung des Rechtsextremismus angepriesen.
Und - keine Frage: Der neofaschistische Missbrauch des Demonstrationsrechts für Volksverhetzung und Straßenterror ist unerträglich!
Aber aufgepasst: Anders als in Berlin ist die antifaschistische Absicht in NRW nur
vorgetäuscht. In Wahrheit geht es um die Beschneidung einer antifaschistischen Errungenschaft - nämlich der Versammlungsfreiheit.
Man muss keine Juristin sein, um zu erkennen, dass das neue Versammlungsgesetz eigentlich ein Versammlungsverhinderungsgesetz ist. Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit wird mit Hürden und
Hindernissen bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Es erscheint unvorstellbar, dass es hier um ein Recht geht mit dem originalen Wortlaut: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Ich wiederhole: „ohne Anmeldung oder Erlaubnis“.
So steht es im Grundgesetz. Das neue Versammlungsgesetz - das ist des Pudels Kern -
degradiert dieses Grundrecht zur Gnade, die die Polizei gewähren kann oder auch nicht.
Das neue Versammlungsgesetz ist Polizeiwillkür per Gesetz. Die schwammigen Formulierungen sind alles andere als handwerkliche Fehler. Sie sind bewusst gesetzte Unschärfen, um unliebsame
Demo-Anmelderinnen oder -Teilnehmer nach Gutdünken ablehnen oder ausschließen zu können. Die Juristinnen und Juristen des Innenministers haben geliefert, was sie sollten: Ein Gummiparagrafengelaber,
das dem polizeilichen Ermessensspielraum praktisch keine Grenzen setzt. Was ist eine Bekleidung, die einen einem paramilitärischen Auftreten vergleichbaren gewaltbereiten Eindruck vermittelt? Ein
weißer Maler-Overall, in dem sich ein Klimaschützer verbirgt. Das ist kein Witz! Was ist eine verbotene Störung einer genehmigten Versammlung? Ein Pfiff? Ein Blick? Ein Handzeichen? Alles liegt im
Auge der polizeilichen Betrachtung.
Polizeiwillkür per Gesetz passt nicht zu einem Rechtsstaat, in dem die Staatsgewalt vom Volk ausgeht. Sie passt zu einem Polizeistaat, in dem sich die Staatsgewalt als höhere Gewalt aufspielt, die
das Volk überwacht. Diese Überwachungsperspektive ist für das neue Versammlungsgesetz charakteristisch. Die Staatsgewalt wird immer mehr der demokratischen und juristischen Kontrolle entzogen. Die
Überwachung der demonstrierenden Bürgerinnen und Bürger wird dagegen weiter ausgebaut. Wer auf eine Demonstration geht, wird unter den Generalverdacht der Gewaltbereitschaft gestellt und muss
anlasslose Videoüberwachung und Personenkontrollen über sich ergehen lassen.
Na und? Wir haben doch alle nichts zu verbergen! Oder? Und - wo könnten unsere persönlichen Daten sicherer sein als in den Computern unserer Polizei? Wenn ich in Hessen wohnen würde, wäre ich
mir da nicht so sicher. In Hessen hat nämlich ein nationalsozialistischer Untergrund mit der Abkürzung „NSU 2.0“ Zugriff auf die Polizeicomputer. Aktive Antifaschistinnen erhalten postwendend
Mord-Drohungen an ihre dort gespeicherten Adressen.
In NRW ist Derartiges undenkbar - für unseren Innenminister. In NRW gibt es keine rechtsextremen Polizistinnen und Polizisten. „Eindeutig rechtsextrem“ sind nur ihre Äußerungen in internen
Chatgruppen. Unser Innenminister kann das auseinander halten. Aber er kann auch nicht alles erklären: Warum fuhren Sondereinsatzkräfte der Polizei NRW für ihre Schießübungen nach
Mecklenburg-Vorpommern? Wussten sie, dass der Betreiber des dortigen Schießplatzes auch ein rechtes Terrornetzwerk betrieb, das Todeslisten erstellte und geheime Munitionsdepots anlegte? Wie
gelangte Munition aus den Beständen der Polizei NRW in diese Depots?
Sehr geehrter Herr Reul, wollen Sie wissen, wie Sie Ihren Kampf gegen den Rechtsextremismus so effektiv und glaubwürdig wie noch nie gestalten können? Ich verrate es Ihnen gern: Vergreifen Sie sich
nicht am Versammlungsrecht! Knöpfen Sie sich stattdessen ihre eigenen Sicherheitsbehörden vor! Kneifen Sie nicht - wie gewohnt - beide Augen zu. Schauen Sie genau hin. Mit beiden Augen
wohlgemerkt - auch mit dem rechten!
Ich danke Euch für eure Aufmerksamkeit