Lutz Moschke: Rede zum Taser Test in der Dortmunder Nordstadt

 

 

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
 

seit einigen Wochen werden so genannte Distanzelektroimpulsgeräte in verschiedenen
Bundesländern getestet, auch in NRW, und zwar unter anderem ausgerechnet hier, in der
Dortmunder Nordstadt. Der Dortmunder Polizeipräsident Gregor Lange begründet das mit der
angeblich höheren Gesamtzahl der Straftaten und der gestiegenen Anzahl der so genannten
Widerstandsdelikte gegenüber Vertretern der Sicherheitsbehörden im Vergleich zu anderen
Vororten.

 

Herr Lange führt in seiner Stellungnahme in den "Ruhrnachrichten" vom 19.01.21 aus, dass sich
"Drogenhändler und andere Straftäter gegen eine immer präsentere Polizei immer häufiger zur
Wehr" setzen. Er erhofft sich "weniger Widerstände und tätliche Angriffe auf Polizisten" sowie
"weniger Verletzte auf beiden Seiten" und spricht in diesem Zusammenhang von der Hoffnung auf
"eine klar deeskalierende Wirkung". Für mich als Bürger ist das überhaupt nicht nachvollziehbar.
Das beginnt bereits bei der Bezeichnung dieser Waffen: "Distanz- Elektroimpulsgerät" klingt
vergleichsweise harmlos. Die Bezeichnung "Elektroschock- Waffe" wäre angebrachter.

 

Die Begründung der Tests und des geplanten Einsatzes dieser Elektroschock- Waffen ist vor dem
Hintergrund sinkender Zahlen der Straftaten im Bereich der Dortmunder Nordstadt nicht nur
unangebracht, sondern auch noch zynisch - wann wurde jemals durch den Einsatz von mehr Waffen
eine Deeskalation erreicht? Das Gegenteil ist der Fall: Mehr Waffen provozieren mehr Gewalt,
mehr Bedrohung, mehr Angst und mehr Widerstand.

 

Anstatt eine wirkliche Deeskalation durch eine Strategie der Bekämpfung der Ursachen der
Kriminalität wie steigende Armut, soziale Isolation, fehlende Integration von Mitbürger*innen und
Ausgrenzung von Menschen zu betreiben, setzt die Dortmunder Polizei, angetrieben durch den
nordrhein- westfälischen Innenminister Herbert Reul, auf noch mehr Waffen, zusätzlich zu den
ohnehin schon gefährlichen Einsätzen von Pfefferspray oder Schlagstöcken. Es besteht die Gefahr
der unkontrollierbaren Eskalation von Situationen bei Auseinandersetzungen zwischen
Bürger*innen und Polizei, weil die Polizei diese Waffen besitzt und davon ausgeht, dass "schon
nichts passieren" würde, wenn sie auch eingesetzt werden.

 

Die Frage der Verhältnismäßigkeit wird damit relativiert, und die Schwelle des Waffengebrauchs
erheblich gesenkt. Durch den Einsatz der Elektroschock- Pistolen sind in den USA lt. Berichten der
Nachrichtenagentur Reuters seit 2000 bereits 1026 Menschen getötet worden, in Deutschland gibt
es bisher 2 dokumentierte Todesfälle nach dem Einsatz dieser Waffen.

 

Indem die Schwelle zum Waffeneinsatz durch die Taser drastisch gesenkt wird, kann eine Situation
entstehen, in der die Menschen in jedem Polizisten oder in jeder Polizistin nur noch eine Gefahr für
ihre Gesundheit und ihr Leben sehen.

 

Es soll die Frage erlaubt sein, ob seitens der Sicherheitsbehörden wirklich diese Absicht besteht -
wenn dem so ist, hat die Politik ihre Hausaufgaben nicht gemacht - Bürgernähe, Verständnis,
Deeskalation, Hilfe in Gefahrensituationen - alles das wird durch Angst vor der Polizei, vor dem
Einsatz von Pfefferspray, Schlagstöcken oder nun auch noch Tasern, zunichte gemacht.

 

Wo ist eigentlich der "Schutzmann" geblieben, der Kindern oder alten gebrechlichen Menschen
hilft, der durch die Kenntnis seiner Nachbarschaft schnell und einfach Konflikte lösen kann, bevor
sie eskalieren?

 

Ich erlebe heute die Polizei häufig als martialisch aussehende roboterähnliche Wesen, die so gut wie
nichts mehr von einem Menschen unter der Uniform vermuten lassen - Wesen, die mir immer
fremder werden - Schutzwesten tragend, teilweise behelmt, gerade so, als wären wir im Krieg -
angsteinflößend und herrisch auftretend. Ich frage lieber einen zivil aussehenden Menschen als
einen Polizisten oder eine Polizistin, wenn ich zum Beispiel den Weg nicht weiß.

 

Ich weiß nicht, wie Polizisten und Polizistinnen diese Situation empfinden; was in ihnen vorgeht,
wenn sie bemerken, dass Menschen lieber die Straßenseite wechseln als ihnen zu begegnen. Ich
kann mir aber gut vorstellen, dass die Menschen, die unter den Uniformen stecken, eigentlich etwas
anderes wollen, als dass andere Menschen Angst vor ihnen haben. Es ist an den Menschen, die unter
ihren Uniformen noch menschlich geblieben sind, dafür zu sorgen, dass aus der Polizei wieder der
Freund und Helfer wird, dass das Vertrauen zur Polizei wiederkehrt. Dafür ist allerdings
Voraussetzung, dass statt des Trainings an immer neuen Waffen endlich das Deeskalationstraining
aller Polizistinnen und Polizisten in den Vordergrund gestellt wird.

 

Es muss eine Verpflichtung zur Teilnahme an Trainingsmaßnahmen zur Menschlichkeit im Einsatz
geben, zur realistischen Einschätzung von Konfliktsituationen und zur Auswahl des jeweils
geringsten Mittels zur Verhinderung oder Bekämpfung von Straftaten. Jede einzelne Beamtin, jeder
einzelne Beamte, trägt Verantwortung für Gesundheit und Leben von Menschen im Einsatz, und es
sollte allen Beamtinnen und Beamten klar sein, dass Waffengebrauch, egal ob Schlagstock,
Pfefferspray, Taser oder Schusswaffe, eigentlich eine Bankrotterklärung für Menschlichkeit und
Achtsamkeit ist; dafür, dass im Vorfeld Fehler und Versäumnisse aufgetreten sind, die solche
Maßnahmen erst möglich und erforderlich machen.

 

Ich appelliere daher an alle Polizistinnen und Polizisten, sich einer weiteren Verschärfung ihres
Missbrauchs zu politisch selbstsüchtigen Profilierungszwecken zu verweigern und statt dessen die
Sorgen und Nöte ihrer Mitmenschen, insbesondere in der herrschenden Pandemie, anzuerkennen,
ernst zu nehmen und deutlich zu machen, dass die Polizei für die Bürgerinnen und Bürger da ist und
nicht für Politikerinnen und Politiker.

 

Dortmund 29. Januar 1921

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