Rede des Bündnis Dortmund gegen Rechts
Manche Demonstranten im Hambacher Forst hätten nicht für den Wald, sondern gegen den Kapitalismus gekämpft, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul vor zwei Jahren in einem Interview der Süddeutschen Zeitung. Und dies sei mit Gewalt erfolgt, behauptete er.
Reul übersah eines: Der Kapitalismus ist kein Bestandteil der Verfassung. Das BVerG hat klargestellt: Abkehr vom Kapitalismus ist verfassungsmäßig zulässig.
Und ich füge hinzu: es ist unbedingt notwendig, liebe Anwesende!
Und weiter mit Herrn Reul:
Man müsse die ganze Bandbreite des LINKEN Extremismus bekämpfen. Wörtlich - ich zitiere: „Und zum Thema Linksjugend: Auch die will unseren Staat abschaffen und deshalb führt sie einen antikapitalistischen Kampf. Das ist wichtig für die Einschätzung, wie ich mit denen umgehe.“ Zitatende.
Nun wissen wir, wie er mit „denen“ umgehen will. Er hat einen Entwurf für ein neues Versammlungsgesetz vorgelegt.
Das Bündnis Dortmund gegen Rechts lehnt dieses geplante Versammlungsgesetz der von CDU und FDP geführten Landesregierung entschieden ab. Dieser Gesetzesentwurf birgt die Gefahr, in Zukunft nicht mehr gegen den aktuell immer stärker werdenden Rechtsextremismus demonstrieren zu können. Sollte dieser Entwurf verabschiedet werden, würde bereits ein Aufruf zur gewaltfreien Blockade gegen Aufmärsche neofaschistischer und rechtspopulistischer Parteien und Gruppierungen unter Strafandrohung von bis zu zwei Jahren verboten werden können. Auch angemeldete GEGEN-Demonstrationen wären davon betroffen. Gewinner wären nur rechte Parteien und Gruppierungen. Das wollen wir nicht zulassen.
In Dortmund wurde vor zehn Jahren von Persönlichkeiten wie Oberbürgermeister, Abgeordneten aller Parlamente, Gewerkschaftsvorständen, Landesministern, Betriebsräten und Jugendorganisationen ein Blockadeaufruf veröffentlicht, der seine Wirkung bis heute hat. Die Nazis wurden in Dortmund zurückgedrängt. „Es reicht!“ hatten die Persönlichkeiten erklärt. „Wir stellen uns den Nazis gemeinsam in den Weg.“ Es gilt, „den Nazihorden den Weg zu blockieren.“
Für solche Aufrufe würden sich genau diese Persönlichkeiten heute zwei Jahre Gefängnis einhandeln können, wenn das neue NRW-Gesetz durchkommt. Dies Gesetz setzt sich über das Mutlangen-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinweg, was Blockaden im politischen Kampf erlaubt.
Der Gesetzentwurf unter Herrn Reul reiht sich ein in die antidemokratischen Maßnahmen, die in den Pandemie-Zeiten üblich wurden:
Flugblattverteilen? Verboten!
Demonstrieren? Verboten, wenn...
es sich nicht um Querdenkerdemos handelt. In Kassel wurde den rechten Verschwörungstheoretikern und militanten Coronaleugnern freie Hand gelassen, aber gegen die demokratischen Gegendemonstranten durften Polizisten ihr Mütchen kühlen, wie Medien berichteten.
Nicht zu vergessen, die Gefahr von Einsätzen mit Tasern. Folterinstrumenten gleichkommende Waffen sollen in einem Großversuch der Dortmunder Polizei gegen die Bevölkerung der Nordstadt eingesetzt werden.
Den Dortmunder Norden prägen mit der höchsten Bevölkerungsdichte und über 73 Prozent Migrationsanteil auch die höchsten Werte im Bereich Arbeitslosigkeit, geringfügiger Beschäftigung und Wohnraumknappheit. Corona lässt den Stadtteil zum explosiven Hotspot werden. Nirgendwo in der Stadt sind die Lernbedingungen und Zukunftschancen für Kinder aus großen Familien so schlecht wie in der Nordstadt. Hier wird Armut konzentriert und stigmatisiert. Nicht die Schaffung von Arbeitsplätzen, der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus oder Investitionen ins Schulwesen werden hier forciert - nein, bestenfalls Gentrifizierung, Förderung von Mietspekulation bzw. Verdrängung der Menschen aus der Nordstadt als Konzept der Armutsbekämpfung. Und nun noch das: Die Menschen der Nordstadt als Versuchskaninchen für eine Waffe, die die Opfer lähmt, in einen Schockzustand versetzt oder bei entsprechenden Vorerkrankungen zum Tode führen kann, wie in den USA bereits geschehen. Der letzte „erfolgreiche“ Einsatz in der Nordstadt betraf einen Obdachlosen, der in einem Hauseingang schlief. Er wehrte sich dagegen, von seinem Schlafplatz vertrieben zu werden.
Hier wird geprobt, das Aufbegehren gegen strukturelle Gewalt in einem gettoisierten Stadtteil zu bekämpfen. Das nur hier nebenbei, aber sehr groß geschrieben, weil es sehr bedrohlich und wichtig zu wissen ist, auch im Zusammenhang des geplanten Versammlungsgesetzes . Wie wird man später gegen entsprechende angehen können?
Nach der Verschärfung des Polizeigesetzes 2018 geht die NRW-Regierung mit ihrem Gesetzentwurf zum Versammlungsrecht einen weiteren Schritt in Richtung Polizeistaat. Gegenüber Veranstalter und Veranstalterinnen, Versammlungsleiter und Versammlungsleiterinnen, Orderinnen und Ordner sowie allgemein Teilnehmende werden Hürden und eine strafbewehrte Drohkulisse aufgebaut, die offenbar schon VOR! der Anmeldung und Durchführung von öffentlichen Kundgebungen abschrecken oder diese zumindest erschweren soll. Davon wären dann nicht nur antifaschistische Kundgebungen betroffen, sondern auch Kundgebungen beispielsweise der Friedens-, Umwelt- und Klimabewegung, denken Sie an „Fridays for Future“ oder „Ende Gelände“.
Der Gesetzentwurf schreibt vor, dass in der Einladung zu einer öffentlichen Versammlung der Name des Veranstalters oder der Veranstalterin anzugeben sei, sie somit öffentlich werden. Dies bedeutet faktisch, dass die anmeldende Person einer antifaschistischen Demonstration den Nazis zum Fraß vorgeworfen wird, damit diese ihre Todeslisten auf dem Laufenden halten können. Dazu kommt noch: Es soll aus jedem Grund, den die Polizei als „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ annimmt, eine Liste mit Namen und Adressen der Ordner herausgegeben werden müssen, unabhängig davon, ob die Gefahr von der eigenen Demonstration oder anderen Umständen ausgeht. Auch weitere Einschränkungen
+ wie das sogenannte „Militanzverbot“,
+ das erweiterte Uniformverbot,
+ die Einrichtungen von Kontrollstellen oder die Erleichterung von Teilnahme-Untersagungen gegenüber einzelnen Personen ohne versammlungsbezogenen Anlass.
Diese Einschränkungen öffnen Tor und Tür für willkürliche Entscheidungen der Polizei. Nicht überraschen kann in diesem Zusammenhang der Ausbau der Videoüberwachung.
+ WIR sagen: Die Möglichkeit zu friedlichen Blockadeaktionen ist eine ebenso wichtige und legitime Protestform!
+ WIR wissen: Das Recht, unerkannt an öffentlichen Formen des Protests und der Meinungsäußerung teilzunehmen ist für eine demokratische und pluralistische Gesellschaft nicht verhandelbar.
+ WIR sind davon überzeugt: Sollte dieser Gesetzentwurf verabschiedet werden, würden erfolgreiche Demonstrationen gegen die rechte Szene nur noch unter hohen persönlichen Risiken für die Beteiligten stattfinden können – oder eben gar nicht mehr. Damit würde das Versammlungsgesetz völlig unterhöhlt und die Straße für Neofaschisten und Rechtsextremisten frei machen.
WIR wollen das auf keinen Fall.
WIR verlangen: Weg mit diesem Gesetzentwurf! Er kann nicht verbessert werden, er muss ganz zurückgezogen werden.
DANKE