Vor zehn Jahren - am 7. Juli 2012 - starb Ousman Sey im Polizeigewahrsam
Kommentar von Wolfgang Richter
Ousman Sey als Mensch symbolisierte perfekt ‚den Anderen‘. Der weckte gleich mehrere Ansätze im komplexen Sumpf des Rassismus: Er war ein Schwarzer. Er war ein Sozialfall. Er war krank, wohl auch alkoholkrank. Er verlangte ein Recht. Er war unbequem. Erfahrene Hilfs- und Ordnungskräfte hätten das umstandslos erkennen und solide einordnen können - aber rassistisch mobilisiert handelten sie verhängnisvoll, übrigens nicht vereinzelt und womöglich überfordert, sondern in professionell kompetenten Teams.
Ihre strukturellen Schutzschirme in den Ämtern agierten wie selbstverständlich auch rassistisch. Sowohl die staatlichen Aufsichten und Leitungen als auch die Justiz – die ersten verkündeten sofort umstandslos „da ist kein Rassismus, nirgends“ und die zweite stellte in der Folge mit teils hanebüchenen Begründungen alle Verfahren ein. Auch Medien passten sich mehrheitlich dem rassistischen Sprachgebrauch an und spitzten ihn beifallheischend noch zu.
Die Verweigerung von Hilfe gegenüber ‚Anderen‘, die ethnisch fremd sind, die in Armut leben, die politisch nicht passen, die unbequem sind, ist ein einverständig geübtes Handlungsmuster. Die Verpflichtung zur Hilfe zum Beispiel nach § 323c Strafgesetzbuch (Unterlassene Hilfeleistung) ist so strukturell außer Kraft gesetzt. Die beteiligten professionellen Helfer*innen und ihre Führungen handelten hier mehrfach falsch mit letztlich tödlicher Folge und deckten sich gegenseitig. Wichtig wäre zu fragen, welche Schlussfolgerungen für Ausstattung und Handeln professioneller Hilfe hieraus gezogen wurden.
Auf spektakuläre Weise – man schaue in den Stadtplan und zeichne die Fahrtstrecken nach - wurde Ousman Sey am 7. Juli 2012 zu Tode gebracht. Sein Tod im Polizeigewahrsam reiht sich in eine lang gewordene Reihe von ‚Einzelfällen‘ ein. Es bleibt, dass sein Tod dazu beitrug, strukturellen Rassismus im gesellschaftlichen System differenziert zu erkennen, ihn klassenanalytisch zu analysieren und Grundlagen dazu zu schaffen, ihn auf lange Sicht zurückzudrängen.
Der alte und neue Innenminister des Landes hat begonnen, am Beispiel der rechtsterroristischen Überfälle, Tötungen, Morde seine jahrelang unzureichende Arbeit zu überprüfen. Sie zu bessern, muss den alltäglichen Rassismus erkennen und bekämpfen, auch und gerade den unter seinem Schutzschirm.
7. Juli 2022