Kommentar zum 9. Todestag von Ousman Sey

 

Wolfgang Richter

 

Vor neun Jahren - am 7.7.2012 - starb der Schwarzafrikaner Ousman Sey in Dortmund in der Behandlung durch Rettungssanitäter vor Ort und später Polizei, zuletzt im Präsidium:

 

Ousman Sey starb in der Folge einer unglaublichen Odyssee im Polizeipräsidium am 7. Juli 2012 in Dortmund. Der 45-jährige Mann aus Gambia war krank und suchte ärztliche Hilfe. Er lebte in der Nordstadt, nicht weit von der Klinik Nord. Er rief zweimal um Hilfe, aber der Rettungsdienst erkannte zweimal keine Not – „Du musst nur ruhig liegenbleiben!“ Als sie ihn nicht in die Klinik brachten, erfasste ihn Panik. Jetzt griff die Bereitschaftspolizei ein und transportierte den Mann, gefesselt, ins Präsidium auf der anderen Seite der Stadt. Bevor dort ein Polizeiarzt eintraf, war der Mann zusammengebrochen.

 

Die Leitungen von Polizei und Rettungsdienst wussten es am nächsten Morgen schon: „Von Rassismus kann natürlich keine Rede sein – jedem anderen wäre es genauso ergangen. Man wird alles genau untersuchen.“

 

Neun Monate später schloss die Staatsanwaltschaft die Akten: „Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass der Todeseintritt bei unverzüglicher Behandlung durch die Rettungssanitäter vermeidbar gewesen wäre.“ Auch die Rolle der Polizei bei diesem Todeseintritt konnte nicht mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden.

So unterblieb die Aufklärung über die skandalöse „Verbringung“ eines Farbigen in den Tod. In der Lokalpresse wurde aus dem Getöteten noch „ein gambischer Randalierer“. Von Rassismus konnte wirklich keine Rede sein.

 

Rassismus als strukturierendes Element im staatlichen Instrumentarium aufrecht zu erhaltender Ordnung ist in diesem Jahrhundert nicht mehr so leicht zu überdecken – die Fülle der ‚Einzelfälle‘ macht es unmöglich, ihn unter Verharmlosung wie ‚unglückliches Geschehen‘ usw. zu verstecken. Ousman Sey als Mensch symbolisierte den Autoritäten perfekt ‚den Anderen‘. Der weckte gleich mehrere Ansätze im komplexen Sumpf des Rassismus: Er war ein Schwarzer. Er war ein Sozialfall. Er war krank, wohl auch alkoholkrank. Er verlangte ein Recht. Er war unbequem. Erfahrene Hilfs- und Ordnungskräfte konnten das umstandslos erkennen und solide einordnen - aber rassistisch mobilisiert handelten sie verhängnisvoll, übrigens nicht vereinzelt und womöglich überfordert, sondern in professionell kompetenten Teams.

 

Ihre strukturellen Schutzschirme agierten wie selbstverständlich auch rassistisch, was Wunder. Sowohl die staatlichen Aufsichten und Leitungen als auch die Justiz – die ersten verkündeten sofort umstandslos „da ist kein Rassismus, nirgends“ und die zweite stellte in der Folge mit teils hanebüchenen Begründungen alle Verfahren ein. Auch Medien passten sich mehrheitlich dem rassistischen Sprachgebrauch an und spitzten ihn beifallheischend noch zu.

 

Die Verweigerung von Hilfe gegenüber ‚Anderen‘, die in Armut leben, die ethnisch fremd sind, die politisch nicht passen, die unbequem sind, ist ein einverständiges Handlungsmuster, welches die allgemeine Verpflichtung zur Hilfe zum Beispiel nach § 323c Strafgesetzbuch (Unterlassene Hilfeleistung) außer Kraft setzt. Dass die beteiligten professionellen Helfer mehrfach falsch handelten, ist durch den unmittelbar folgenden Tod Ousman Seys ‚eindrucksvoll‘ belegt. Wichtig wäre zu fragen, welche Schlussfolgerungen für Ausstattung und Handeln professioneller Helfer hieraus gezogen wurden.

 

Auf spektakuläre Weise – schau in den Stadtplan und zeichne die Fahrtstrecken nach - wurde Ousman Sey am 7.7.2012 zu Tode gebracht. Sein Tod im Polizeigewahrsam reiht sich in eine lang gewordene Reihe von ‚Einzelfällen‘ ein. Sein Tod trug dazu bei, strukturellen Rassismus im gesellschaftlichen ‚System‘ differenziert zu erkennen, ihn klassenanalytisch zu analysieren und Grundlagen dazu zu schaffen, ihn auf lange Sicht zurückzudrängen.

 

6.7. 2021

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