Zur Erklärung von Straßen in der Nordstadt als "gefährlich und verrufen" durch die Polizei

 

Kommentar von Wolfgang Richter

 

Die offene Einführung einer Kategorie „gefährliche und verrufene Straßen“ im Stadtplan der Dortmunder Polizei – praktisch für die gesamte Nordstadt – ist der Versuch, die Zeit der Sonderregelungen zur Eindämmung der Viruspandemie auszunutzen, um ordnungspolitische und polizeitaktische Eingriffe eigenen Selbstverständnisses zu proben und durchzusetzen. Wieder ist die Nordstadt das Übungsfeld - das letzte Manöver dieser Art war gerade erst die „strategische Fahndung“ mit anlasslosen Überprüfungen von Menschen in diesem Stadtteil. Die Objekte dieser Übergriffe wurden vor allem aus politischem und rassistischem Vorurteil gefunden – Migrant/innen, Farbige, Arme.

 

Die Aktionen damals wie heute sollen „Sicherheit“ suggerieren – in Wahrheit vertiefen sie die Unsicherheit nicht nur aber gerade von sozial benachteiligten und ethnisch diskriminierten Menschen. Manche haben verängstigende Erfahrungen mit der Ansage von Manövern der Polizeiführung und der Ausführung durch Einsatzkräfte gesammelt. „Säuberung“ ist die Absicht, Vertreibung kündigt sich an. Der sozialen Spaltung folgt die räumliche Ghettoisierung.

 

Es ist wichtig und richtig, nach USA zu blicken und deren rassistische Brutalität gegenüber Migrant/innen, Farbigen, Armen anzuklagen. Was dort unverhüllt und schockierend auftritt, existiert aber auch zuhause – als gäbe es keinen Rassismus hierzulande, als bewahrten Uniformen ihre Träger hier davor, auch mal ungesetzlich zu handeln, als bekämen Opfer von obrigkeitlicher Repression hier allemal Hilfe oder gar Recht. In der „westlichen Wertegemeinschaft“ ist Gewaltanwendung - militärisch nach außen und ordnungspolitisch nach innen - das Herrschaftsprinzip für „freedom and democracy“. Die Feindbilder sind in USA wie BRD die gleichen: Außen vor allem Russland und China und innen vor allem Migrant/innen, Farbige, Arme.

 

Zeit sich an den täglichen und außerordentlichen Rassismus auch vor Ort zu erinnern, ihn zu nennen und zu bekämpfen. Es ist z.B. nur wenige Jahre her, dass im Polizeipräsidium Dortmund ein Mann aus Gabun zu Tode kam, der in die Notfallklinik wollte. Das war registriert und von Amts wegen beiseite gelegt worden. Es ist unvergessen:

 

Ousman Sey starb in der Folge einer unglaublichen Odyssee im Polizeipräsidium. Der 45jährige Mann aus Gambia war krank und suchte ärztliche Hilfe. Er lebte in der Nordstadt, nicht weit von der Klinik Nord. Er rief zweimal um Hilfe, aber der Rettungsdienst erkannte zweimal keine Not – „Du musst nur ruhig liegenbleiben!“ Als sie ihn nicht in die Klinik brachten, erfasste ihn Panik. Jetzt griff die Bereitschaftspolizei ein und transportierte den Mann, gefesselt, ins Präsidium auf der anderen Seite der Stadt. Bevor dort ein Polizeiarzt eintraf, war der Mann zusammengebrochen.

Die Leitungen von Polizei und Rettungsdienst wussten es am nächsten Morgen schon: „Von Rassismus kann natürlich keine Rede sein - jedem anderen wäre es genauso ergangen. Man wird alles genau untersuchen.“

Neun Monate später schloss die Staatsanwaltschaft die Akten und erklärte: „Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, dass der Todeseintritt bei unverzüglicher Behandlung durch die Rettungssanitäter vermeidbar gewesen wäre.“ Ist es der Auftrag von Rettungsdiensten, nur zu handeln, wenn Erfolg garantiert ist?

Auch die Rolle der Polizei bei diesem Todeseintritt konnte nicht mit hinreichender Sicherheit ermittelt werden. Ist es der Auftrag von Polizeikräften, Sterbenskranke nachts ins Präsidium zu fahren, wo ein Arzt erst gerufen werden muss? Wie lange hat es gedauert, bis der da war?

In den Lokalmedien wurde die Einstellung des Verfahrens unter der Überschrift gemeldet: "Tod eines Randalierers". Wer hat diesen Begriff in die Redaktionen geliefert – die Rettungsdienste, die Polizei, der Staatsanwalt?

So unterblieb die Aufklärung über die skandalöse „Verbringung“ eines Farbigen in den Tod. In der Lokalpresse wurde aus dem Getöteten „ein gambischer Randalierer“. Von Rassismus konnte wirklich keine Rede sein.

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